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Christina Bührmann aus Etelsen
Geb. 13. Dezember 1945
Sternzeichen Schütze

Wo sind Sie geboren und aufgewachsen? Ich bin in Schafstädt geboren, das ist in der damaligen DDR, Landkreis Merseburg/Halle in Sachsen-Anhalt und hatte eine ziemlich bewegte Kindheit. Mein Vater war Bürgermeister in Schafstädt, ist verhaftet worden und war im Gefängnis. 1953, als der große Aufstand am 17. Juni stattfand, wurde er befreit. Abends wollte er dann auf dem Marktplatz sprechen und seine Kritik am System äußern. Freunde haben ihm dann aber gesagt, dass schon alles voller Spitzel war, und ihm geraten, lieber aus der DDR zu fliehen. Er ging nach Berlin und war dort im Auffanglager. Nach einiger Zeit wurde er aus Berlin nach Bremen ausgeflogen, wo er Freunde hatte. 1955 sind dann meine Mutter und ich auch nach Berlin geflohen und mit der S-Bahn von Ost- nach West-Berlin gefahren. Nach einer Zeit im Auffanglager sind wir ebenfalls zu den Freunden meiner Eltern nach Bremen ausgeflogen worden. In Bremen bin ich aufgewachsen und zur Schule gegangen.

Wie war Ihre berufliche Laufbahn? Nach der mittleren Reife habe ich, als eines der ersten Mädchen in Bremen, Speditionskauffrau gelernt. Ich habe Sozialwissenschaften an der Universität Bremen studiert und anschließend dort auch als wissenschaftliche Mitarbeiterin gearbeitet. Nach der Geburt unserer Tochter und dem Umzug nach Etelsen, habe ich für die SPD für den Kreistag kandidiert und damit begann mein politischer Werdegang. Das wurde dann für fast 20 Jahre auch zum Beruf, erst als Landtagsabgeordnete und dann auch als Ministerin in Niedersachsen.

Wie sind Sie denn in die Politik gekommen und wie hat sich das entwickelt? Ich komme ja aus einem politisch geprägten Elternhaus. Mein Vater war mit dem späteren Bremer Bürgermeister Henning Scherf befreundet und sollte eigentlich auch für die Bremer Bürgerschaft kandidieren. Nach den schlimmen Erfahrungen, die wir in der DDR gemacht hatten, wollte meine Mutter aber auf keinen Fall, dass mein Vater wieder in die Politik einsteigt.
1972 wollten wir ja alle, so wie Willy Brandt es sagte, „mehr Demokratie wagen“. Das wollte ich auch und habe z.B. im Rahmen der damaligen Studentenunruhen auf dem Marktplatz demonstriert. Bevor ich Landtagsabgeordnete wurde, war Karl Ravens hier langjähriger und sehr geschätzter Landtagsabgeordneter. Zu Beginn meiner politischen Karriere habe ich einmal gegen ihn kandidiert und natürlich verloren (siehe Info­kas­ten). Beim zweiten Mal hat Karl dann zu mir gesagt: „Ich trete nicht wieder an und du machst das jetzt.“ Wir haben uns immer blendend verstanden und ich bin dann auch direkt gewählt worden. Ich war dann lange Ausschussvorsitzende für Wissen­schaft und Kultur und später auch Frauenministerin.

Wie kam es zum Umzug von Bremen nach Etelsen? Mein Mann hat Kunst in Bremen studiert und wurde dann Kunstlehrer am Domgymnasium in Ver­den. Wir haben zu der Zeit am Steintor in Bremen gewohnt. Dort war es spannend, jung und kreativ, aber für Kinder nicht so ideal. Zudem kam, dass wir in Bremen keinen Platz für ein Atelier gefunden haben. So entschlossen wir uns, ein entsprechendes Baugrundstück zwischen Bremen und Verden zu finden und sind in Etelsen fündig geworden.

Was machen Sie in Ihrer Freizeit? Ich bin großer Theaterfan. Schauspielerinnen und Schauspieler faszinieren mich sehr, weil sie auf der Bühne stehen und sich mit ihrer ganzen Person einbringen. Außerdem mache ich nun bereits seit einigen Jahren mit der Friedrich-Ebert-Stiftung in Hannover Veranstaltungen zum Thema „Menschen machen Politik, Politik macht Menschen“. Da befragen wir politisch Aktive „Was motiviert Frauen und Männer sich politisch zu engagieren?“ oder „Wie fühlt es sich an, wenn man ständig im Fokus der Öffentlichkeit steht?“ Die Veranstaltungen sind sehr gefragt und wir hatten im Grunde alle schon da, die in Niedersachsen die Politik geprägt haben: Daniela Behrens, Hubertus Heil, Boris Pistorius, Stephan Weil, Monika Griefan, Birgit Honé und Karl Ravens natürlich, mit einem seiner letzten Interviews.
Außerdem moderiere ich die Veranstaltungsreihe „Ein Hauch von Wien in der DDR“ mit einem Theologenehepaar, das aus der DDR ausgewiesen wurde und nun u.a. in Lüneburg und Hannover aus der damaligen Zeit erzählt. Sie waren z.B. befreundet mit der Schriftstellerin Maxi Wander und ihrem Mann, einem jüdischen Schriftsteller, der in der NS-Zeit ins KZ deportiert wurde. Nach dem Krieg zog er dann von Wien in die DDR in der Hoffnung auf den Sozialismus.

Welche Musik hören Sie gern? Ich höre mit großer Leidenschaft die Musik von Brahms.

Verreisen Sie gern? Ich verreise sehr gern und war vor zwei Jahren z. B. im Winter in Finnland und schwärme nach wie vor von den Nordlichtern. Im Frühjahr fahre ich mit der Parlamentarischen Vereinigung nach Dänemark und Schweden.

In welchem anderen Land könnten Sie sich vorstellen zu leben? Dänemark vielleicht. Oder Italien, wo mein Mann ein Jahr lang gelebt hat und ich ihn häufig besucht habe.

Was gefällt Ihnen an Etelsen besonders? Ich fühle mich sehr wohl in Etelsen. Ich habe viele Freund*innen und Bekannte hier. Wir sind hier sehr nett aufgenommen worden, als wir hergezogen sind. Es hat sich hier vieles sehr positiv entwickelt, es gibt eine Kita, eine Krippe, eine Grundschule, ärztliche Versorgung, ein Altersheim, das einen richtig guten Ruf hat, und einen sehr aktiven Sportverein, in dem ich auch Mitglied bin.

Was ist in Etelsen noch verbesserungswürdig? Hm, das weiß ich auch nicht. Ein Naturkostladen oder -markt wäre sehr schön, obwohl es ja auch bereits einen kleinen Markt alle vier Wochen hier gibt.

Was ist für Sie das größte Glück und was wäre das größte Unglück? Eine funktionierende Demokratie und Gasthörerin an der Musikhochschule Hannover zu sein. Das größte Unglück weiß ich nicht, da will ich auch gar nicht drüber nachdenken. (uc)

Hintergrund Lothar Bührmann: Christina Bührmanns vor 4,5 Jahren verstorbener Ehemann Lothar Bührmann wurde 1946 in Bremen geboren. Später studierte er dort Malerei an der Akademie für Gestaltung. Anschlie­ßend lehrte er von 1970 bis 2007 Kunst am Domgymnasium in Verden. Nebenbei widmete er sich freiberuflich seiner Leidenschaft, dem Zeichnen von Cartoons und dem Erschaffen von großen Installationen. In seinen durchdachten Werken verarbeitete er Themen wie internationale Politik, Literatur, Bildende Kunst, Sport und Musik. Seine Karikaturen erschienen in Zeitungen, Zeitschriften und in Buchform. Obendrein wurden sie in vielen nationalen und internationalen Ausstellungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Bührmann lag bei seiner Arbeit immer das Streben nach Frieden und das Ausüben von Gesellschaftskritik am Herzen. 1997 erhielt er dafür den Friedens- und Kulturpreis der Villa Ichon in Bremen. 2004 übernahm Bührmann die Leitung der Villa Ichon. Er verstarb im August 2019.

Hintergrund Karl Ravens: Christina Bührmanns prominenter Vorgänger als Abgeordneter für den Landkreis Verden im Niedersächsischen Landtag war der 2017 verstorbene Karl Ravens aus Achim. Von 1961 bis 1978 war Ravens Mitglied des deutschen Bundestages und wurde 1974 von Helmut Schmidt zum Bundesbauminister berufen. 1976 sollte er Alfred Kubel als Ministerpräsident von Niedersachsen ablösen. Als dieser zur Mitte der Wahlperiode zurücktrat, verständigte sich die sozialliberale Koalition auf Finanzminister Helmut Kasimier als Nachfolger. Dieser unterlag jedoch in zwei Wahlgängen dem CDU-Fraktionschef Ernst Albrecht. Und so schickte die SPD im dritten Wahlgang Karl Ravens ins Rennen, der aber ebenfalls nicht genügend Stimmen bekam. Die Abweichler der Koalition sind bis heute unbekannt.
Nachdem Ravens 1978 als Bundesbauminister zurückgetreten war, trat er bei den Wahlen 1978 und 1982 erneut erfolglos gegen Amtsinhaber Albrecht an und wurde Oppositionsführer. 1986 übergab er den Fraktionsvorsitz an Gerhard Schröder. 1990 trat er nicht mehr zur Niedersachsenwahl an und Christina Bührmann übernahm den Posten als Vertreterin des Landkreises Verden im Landtag in Hannover.